Dinner for one

Oder: Ein Festschmausbrauch aus früheren Zeiten

Es mag überraschen, dass unsere fernen Vorfahren glaubten, dass wir bei der Weihnachts- oder Neujahrsfeier immer einen ungesehenen Gast am Tisch haben.

Über Generationen wurde von Mutter zu Tochter die Überlieferung weitergegeben, dass in den magischen Nächten zwischen Sonnenwende und Perchtnacht (6. Januar) die göttliche Holle oder Percht in jedem Haus oder Hof Einkehr hielt. Sie prüfte das Hauswesen und die Arbeit der Bewohner. Offensichtlich ging man von einem leibhaftigen Besuch der Holle/Percht aus. Dazu eignete sich bei uns natürlich am besten die dunkle Zeit, wo merkwürdige, unerklärte Geräusche den Gedanken Raum gaben für Vermutungen, magische Geschichten und Orakelzauber. In Erwartung von Holle/Percht, die durch die Luft sausend, sich irgendwie in den Dörfern materialisierte, gab es ihr zu Ehren bestimmte Speisen. Die Menschen tafelten und feierten neben dem Gedeck für den Überraschungsgast. Alternativ deckte man einen eigenen kleinen Gabentisch für den hohen Besuch und ließ die Speisen über Nacht stehen. Das bekannte Tischgebet “Komm, Herr Jesus, sei unser Gast und segne, was du uns bescheret hast“ folgt diesem Denkschema, wenn auch die Person ausgetauscht wurde.

Es gibt sehr alte Belege für diesen Brauch, der von der Kirche über Jahrhunderte missbilligend verfolgt und verboten wurde. Bischof Caesarius von Arles, der um 500 gelebt haben soll, berichtete schon von den für die heiligen Frauen an Neujahr gedeckten Tischen. Ein anderer Kleriker namens Rudolf schrieb um 1250, dass die Hausfrauen in der Nacht der Geburt Christi einen Tisch decken würden für die Himmelskönigin, die das Volk Frau Holda nenne, damit sie ihnen hilft. Das ist einer der ganz frühen Belege, dass die Himmelskönigin ursprünglich Holle/Percht war, die erst nach und nach durch Maria überformt und verdeckt wurde. (…) Frauen hielten trotzig bis ins 20. Jahrhundert an diesem Brauch fest. Er muss ihnen also überaus wichtig gewesen sein. Der Adventsteller mit Plätzchen, Lebkuchen und Äpfeln, vielleicht noch extra geschmückt mit einer Kerze und etwas Tannengrün, mittig auf dem Tisch platziert, war die letzte Erinnerung an diesen Perchtentisch: magisches Zentrum der Adventszeit und alles andere als pure Dekoration. Von Thüringen über Böhmen, Kärnten, Steiermark und Tirol bot man Holle/Percht Speisen an. Der Perchta stellte man je nach Region Brei, Fleisch, Käse oder Milch hin, eben all die guten Sachen, die man auf dem Hof mit der Göttin Hilfe hatte herstellen und verzehren dürfen.

Auszug aus: Renate Reuther: Feste feiern – dann aber richtig, ISBN 978-3-96940-655-7

Foto: Die Historikerin & Brauchtumsforscherin R. Reuther mit ihrem neuen Buch.